Die jungen Gesichter der Revolution
26. Jul 2014
Das ihres Bruders. Um die Ecke von hier begann vor über zwei Jahren die Ägyptische Revolution. Im Juli dieses Jahres kam der zweite Umsturz. Zuerst wurde der langjährige Machthaber Hosni Mubarak zu Fall gebracht, danach die Muslimbrüder entmachtet. Über die zweite Revolution ist Sherry Danial froh. Über die erste wäre sie es eigentlich auch. Hätte sie darin nicht ihren Bruder verloren.
Wenn Sherry Danial über ihren Bruder spricht, blickt sie zu Boden und ihre Stimme wird sehr leise: „Mina war ein liebenswerter und fröhlicher Mensch, alle mochten ihn. “ Nur selten sei er richtig ernst geworden: Dann, wenn es um die Situation der Armen und die Gewalttaten gegen die Kopten ging. Für Mina Danial, selbst koptischer Christ, gab es hier einen Zusammenhang. Ihm fiel auf, dass Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen religiösen Gruppen eigentlich nur in ärmeren Stadtvierteln oder auf dem Land vorkommen. Gemeinsam mit seiner Schwester Sherry ging er bereits vor der Revolution auf die Straße, um für soziale Gerechtigkeit zu kämpfen. Mina Danial war der Überzeugung: Wenn es den Menschen gut geht, wirkt sich das auch positiv auf die Situation der Christen in Ägypten aus. Er selbst hatte viele muslimische Freunde. Welchem Glauben man angehörte, spielte für sie keine Rolle.
Sherry geht durch die Mohamed Mahmoud Straße. Hier, nahe dem Tahrir-Platz, wird die Revolution mit Sprühdosen und Farbe festgehalten. Unzählige Gesichter junger Männer und Frauen, die ihr Leben in den letzten Jahren verloren haben, sind auf der Betonwand entlang der Straße zu sehen. Sie werden als Märtyrer, als Helden der Revolution gefeiert. Mina Danial ist auch unter den Gesichtern. Von ihm gibt es gleich mehrere Portraits.
Eines davon zeigt ihn zusammen mit Scheich Emad Effat. Der Rechtsgelehrte der muslimischen Al-Azhar Universität starb zwei Monate nach Mina Danial im Dezember 2011 als ein Sitzstreik gewaltsam aufgelöst wurde. Mina Danial und Scheich Emad Effat haben sich nie kennengelernt. Erst nach ihrem Tod wurden sie von den Revolutionsanhängern vereint: Als Symbol für ein Ägypten, das – ungeachtet religiöser Unterschiede – für die gleichen Ziele steht. Auf der Mauer in der Mohamed Mahmoud Straße stehen die beiden Revolutionshelden nebeneinander und halten gemeinsam eine weiße Bandarole in die Höhe: „Wer wird uns als nächstes folgen?“, ist darauf zu lesen. In den Tod gefolgt sind ihnen noch viele. Christen wie Muslime.
Die Revolution hat mit dem Rücktritt Mubaraks nicht geendet. Es kamen die Muslimbrüder, neue Ungerechtigkeiten und eine zweite Revolution.
Einer, der die erste Revolution überlebt und die zweite erlebt hat, ist Hani Wahba. Der 31- Jährige ist Mitglied der „Maspero Youth Union“, einer politischen Organisation junger Kopten. Benannt ist die Gruppe nach dem
Vorfall, der sich am 9. Oktober 2011 in dem Kairoer Stadtteil Maspero ereignete. In dieser Nacht starben bei Auseinandersetzungen zwischen Militär und Demonstranten 27 Menschen. Es war auch die Nacht, in der Mina Danial starb. Mehrere Dutzend Christen und einige Muslime hatten sich an diesem Tag zusammengeschlossen, um gleiche Rechte und Schutz für die koptische
Minderheit zu fordern. Unter den Demonstranten befanden sich auch Mina Danial und Hani Wahba. Als die Menge in Maspero, dem Medienstandort Kairos, angekommen war, rückte das Militär an. „Wir wollten nichts, außer unsere Rechte einfordern, aber sie fingen einfach an auf uns zu schießen und mit ihren Panzern in die Menge zu fahren. Ich hörte Menschen um mich herumschreien, die von Militärfahrzeugen überrollt wurden“, sagt Hani Wahba. Es war die schlimmste Nacht seines Lebens.
Auch Sherry Danial wird dieses Ereignis nie vergessen: Noch in der Nacht des 9. Oktobers 2011 klingelt ihr Telefon. Es ist ein Freund ihres Bruders. Er erzählt ihr, dass Mina tödlich verunglückt sei. Sherry kann es nicht glauben. Sie macht sich auf den Weg nach Maspero und findet ihren Bruder leblos zwischen verletzten Menschen liegen. Eine Kugel hatte seinen Oberkörper durchbohrt. Er wurde 20 Jahre alt.
Kurz nach seinem Tod wird Mina Danial zum Helden der Mubarak-
Revolution. Pullover werden mit seinem Gesicht bedruckt. „Wir alle sind Mina Danial“ steht in roter Schrift über dem Fotodruck. Sherry Danial trägt diesen Pullover oft. Für sie ist klar: Der Tod ihres Bruders kann nur dann verziehen werden, wenn die Forderungen der Revolutionsanhänger in Erfüllung gehen: Brot, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde.
Sherry Danial fühlt sich verpflichtet, die Revolution weiterzuführen – wenn auch auf ihre Art. Über das Jesuitenkolleg arbeitet sie an zwei Grundschulen in Kairo. Mit Geschichten wie „Der glückliche Prinz“ von Oscar Wilde möchte sie das Bewusstsein der Kinder für gesellschaftliche Probleme stärken. Sherry regt die Schüler zum Nachdenken an. Und denkt selbst viel nach: über ihr Land, ihr Leben und ihren Bruder. Es gibt ein Video von Mina Danial: Es zeigt ihn am 25. Januar 2011, dem ersten Tag der Mubarak-Revolution, auf dem Tahrir-Platz. Er spricht in die Handykamera eines Freundes: „Ich träume von einem besseren Ort, wo ich überall frei meine Meinung äußern kann. Ich liebe mein Land, aber wenn ich hier keine Rechte habe, wäre ich bereit, es zu verlassen.“
Und er hat es verlassen.
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Aktiv für den Frieden
Hier werden Menschen vorgestellt, die sich intensiv für den Frieden in der Welt einsetzen.