Masafer Yatta: Geplante Vertreibung stoppen
10. Jan 2023
„Die israelischen Behörden fühlen sich anscheinend durch die neue, äußerst rechte israelische Regierung zu weiteren Vertreibung der Palästinenser:innen aus dem Gebiet Masafer Yatta ermutigt. Diese Vertreibungen überschreiten einmal mehr die ´Rote Linie´ wie der illegale und völkerrechtswidrige Siedlungsbau. Denn nach der Genfer Konvention handelt es sich bei diesen Umsiedlungen um Kriegsverbrechen“, kritisiert der pax christi-Bundesvorsitzende Gerold König und betont: „pax christi fordert die Bundesregierung und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, sofort Initiativen zum Schutz der Palästinenser:innen vor Räumungen, Zerstörungen und damit einhergehender erzwungener Umsiedlung und Vertreibung im Gebiet von Masafer Yatta/South Hebron Hills im südlichen Westjordanland zu ergreifen. Wenn kein internationaler Druck diese Vertreibungen stoppt, befürchte ich angesichts des Anspruchs auf das "exklusive Recht auf alle Teile des Landes", den die neue israelische Regierung in ihrer Koalitionsvereinbarung erhebt, massive Vertreibungen aus dem Westjordanland und mehr gewaltsame Auseinandersetzungen.“
Hintergrund
Die Umsetzung der Räumungsanordnungen würde acht palästinensische Dörfer im Gebiet von Masafer Yatta mit etwa 1.300 Bewohner:innen (die Hälfte von ihnen sind Kinder) zugunsten eines Übungsgeländes der israelischen Armee treffen. Erste Zerstörungen von Wohn- und Nutzgebäuden und damit verbundene Vertreibungen haben schon stattgefunden. Der Oberste Gerichtshof Israels hat die Anordnungen am 4. Mai 2022 für rechtmäßig erklärt, ihre Umsetzung der israelischen Regierung aber nicht vorgeschrieben. Der Vorsitzende Richter ist selbst Siedler in einer illegalen israelischen Siedlung. Laut der britischen Tageszeitung Guardian ist die Entscheidung des Gerichts "eine der größten Vertreibungsentscheidungen seit dem Beginn der Besatzung 1967".
Nach internationalem Recht sind alle Siedlungen in besetzten Gebieten illegal und völkerrechtswidrig. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seiner Entscheidung vom 12. November 2019 zur Rechtssache C 363/18 „festgestellt, dass die Siedlungen, die in bestimmten vom Staat Israel besetzten Gebieten errichtet wurden, dadurch gekennzeichnet sind, dass sich darin eine Umsiedlungspolitik manifestiert, die dieser Staat außerhalb seines Hoheitsgebiets unter Verstoß gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts umsetzt.“
Als Besatzungsmacht ist Israel verpflichtet, bei allem Handeln in den besetzten palästinensischen Gebieten die Vereinbarungen des Humanitären Völkerrechts und der Internationalen Menschenrechte zu respektieren und umzusetzen. Die erzwungene Umsiedlung von Menschen in besetzten Gebieten verstößt gegen Artikel 49 der 4. Genfer Konvention. Artikel 53 der 4. Genfer Konvention betont das Verbot der Zerstörung von Eigentum durch die Besatzungsmacht.
Informationen anderer
80 Prozent der von Israel zu militärischen Übungsgeländen deklarierten völkerrechtswidrig besetzten palästinensischen Gebiete werden, so die Initiative israelischer Soldatin:innen „Breaking the Silence“, gar nicht für Militärübungen genutzt. Vielmehr werden sie israelischen Siedler:innen zur Errichtung von Außenposten und späteren Siedlungen zur Verfügung gestellt. Die israelische Tageszeitung Haaretz berichtete bereits 2014 über eine Studie, die aufzeigte, dass die militärischen Sperrzonen eng mit den Gebieten übereinstimmen, die für den Siedlungsausbau vorgesehen sind (Artikel von Haaretz vom 9. Dezember 2014 zu der erwähnten Studie.
Im Folgenden finden Sie eine von der pax christi-Nahostkommission verantwortete Übersetzung der Presseerklärung der in Jerusalem ansässigen israelischen Menschenrechtsorganisation B´Tselem vom 2. Januar 2023
Kriegsverbrechen im Schnellverfahren: Israel informiert Palästinenser aus Masafer Yatta über bevorstehende Vertreibung
Heute (Montag, 2. Januar 2023) hat das israelische Bezirkskoordinations- und Verbindungsbüro (DCO) dem palästinensischen DCO mitgeteilt, dass in den kommenden Tagen etwa 1.000 Palästinenser:innen aus Masafer Yatta, deren Land als „Feuerzone 918“ ausgewiesen wurde, Bescheide zur Räumung ihrer Häuser erhalten werden. Das israelische DCO fügte hinzu, dass der Staat plant, den Bewohnern einen alternativen Standort anzubieten, an den sie dann vertrieben werden.
B'Tselem antwortete darauf: "Die gewaltsame Umsiedlung von geschützten Personen in besetzten Gebieten ist ein Kriegsverbrechen. Daher ist das israelische 'Angebot' einer Alternative bedeutungslos. Es ist eine gewaltsame Drohung, die den Bewohner:innen keine Wahl lässt."
Die Ankündigung Israels, die Vertreibung durchführen zu wollen, folgt auf Jahre, in denen der Staat verschiedene Maßnahmen ergriffen hat, um den Bewohner:innen das Leben unerträglich zu machen und sie zum Verlassen ihrer Häuser zu bewegen, angeblich aus freiem Willen. Unter anderem untersagte Israel diesen Gemeinschaften den Anschluss an das Strom- und Wassernetz oder den Bau von Häusern und öffentlichen Gebäuden, schränkte ihre Bewegungsfreiheit ein und ermöglichte es Soldat:innen und Siedler:innen, ihr Leben und ihr Eigentum täglich zu bedrohen.
Im Mai 2022 entschied der Oberste Gerichtshof Israels, dass der Staat die Befugnis hat, Masafer Yatta zur „Schusszone“ zu erklären, und dass die Mitglieder dieser Gemeinschaften keine ständigen Einwohner:innen sind, was den Weg für ihre Ausweisung ebnete. Nun scheint sogar der Staat zuzugeben, dass sie in dem Gebiet leben, und sucht nach einem Ort, an den sie umgesiedelt werden können.
Im Oktober 2022 wandte sich B'Tselem in einem Schreiben an den Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag und forderte ihn auf, dringend zu intervenieren und klarzustellen, dass Israel seine Bemühungen um die Vertreibung der palästinensischen Gemeinschaften in den Hügeln von Süd-Hebron aus ihren Häusern und von ihrem Land einstellen muss.
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Kommission Nahost
Ziel der Arbeit ist ein gerechter Frieden in Nahost mit Fokus auf Palästina und Israel.