Ist dieser Einsatz mit Ihrem Gewissen vereinbar?
25. Jan 2016
pax christi ermutigt die Soldatinnen und Soldaten des deutschen Syrien-Kontingents zu individueller Gewissensprüfung
„Wir ermutigen die Soldatinnen und Soldaten des deutschen Syrien-Kontingents jede für sich zu prüfen, ob dieser Befehl mit ihrem Gewissen in Einklang steht. Wenn nicht haben sie das Recht, von ihrem Dienstherrn eine andere Verwendung zu verlangen“, betont die pax christi-Vorsitzende Wiltrud Rösch-Metzler und ergänzt: „Nach unserer Auffassung ist diese Mandatierung der Bundeswehr weder politisch, noch rechtlich, noch ethisch zu rechtfertigen. Denn dieser Einsatz konterkariert die diplomatischen Bemühungen zur Beilegung der Kämpfe in Syrien und es spricht viel für seine Unvereinbarkeit mit Grundgesetz und Völkerrecht.“
Christof Grosse, der Sprecher der pax christi-Kommission Friedenspolitik begründet weiter: „Wer unsere pazifistische Sicht nicht teilt, muss zumindest begründen, wenn er das zivilisatorische Tötungsverbot außer Kraft setzen will. Das Ziel, die Beziehung zur französischen Regierung und damit die Position Deutschlands in der Europäischen Union nicht zu gefährden, ist an sich berechtigt, aber für dieses politische Anliegen dürfen Bundeswehrangehörige weder in Lebensfahr gebracht, noch dem Risiko gravierender Verstöße gegen Recht und Moral ausgesetzt werden. Bei Ablehnung eines Einsatzes aus Gewissensgründen muss der Dienstherr eine Einsatzalternative anbieten. Ich erinnere daran, dass das Bundesverwaltungsgericht Major Pfaff rehabilitierte, der seinerzeit die Unterstützung des dritten Irak-Kriegs verweigert hatte. Das Gericht hat bestätigt, dass die Freiheit des Gewissens gemäß Artikel 4 Absatz 1 des Grundgesetzes kein durch andere Grundrechte oder Gesetze einschränkbares Gut ist, mithin für jede Soldatin und jeden Soldaten nicht nur für den Fall prinzipieller Kriegsdienstverweigerung gilt, sondern auch in einer Situation wie der gegebenen. Es handelt sich dann um eine situationsbezogene Kriegsdienstverweigerung.“
Den ausführlichen Offenen Brief an die Soldat/innen des Syrien-Kontingents der Bundeswehr mit weiteren Argumenten finden Sie unten stehend sowie in der anhängenden pdf-Datei.
Offener Brief an die Soldatinnen und Soldaten des deutschen Syrien-Kontingents
Sehr geehrte Soldatinnen und Soldaten,
Anfang Dezember 2015, nur knapp drei Wochen nach den Terroranschlägen von Paris, hat das Bundeskabinett eine Beteiligung Deutschlands am Krieg gegen den sog. Islamischen Staat (IS) in Syrien und im Irak beschlossen; wenige Tage später stimmte der Bundestag diesem Beschluss zu. Nach dem vorerst auf ein Jahr befristeten Mandat sollen bis zu 1.200 Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr zur Unterstützung insbesondere Frankreichs, Iraks und der internationalen Allianz gegen den IS Aufgaben der Luftbetankung, der Aufklärung und von „seegehendem Schutz“ sowie als Stabspersonal übernehmen.
Als pax christi-Kommission Friedenspolitik und als Geschäftsführender Vorstand der deutschen pax christi-Sektion sind wir der Auffassung, dass diese Mandatierung der Bundeswehr weder politisch, noch rechtlich, noch ethisch zu rechtfertigen ist.
- Mit diesem Einsatz im Kampf gegen den IS in
dessen Kerngebiet, Irak und Syrien haben Regierung und Bundestag entschieden,
die Bundesrepublik in die nächste Beteiligung am „Krieg gegen den Terror“ zu
verwickeln. Diese Entscheidung konterkariert die - genau einen Tag nach dem
Anschlag von Paris begonnenen – Bemühungen der Syrienkonferenz, eine
Friedenslösung auf internationalem diplomatischem Weg durchzusetzen. Zugleich
werden damit alle Erfahrungen missachtet, die mit diesem Krieg seit dem 11.
September 2001 gemacht worden sind: Er ist nicht nur selbst Terror – mit bis
jetzt bereits mehr als einer Million Toten – sondern funktioniert auch als hoch
effizientes „Terroristen-Rekrutierungsprogramm“. Wahrscheinlich setzt der IS
auf eine Solidarisierung und Radikalisierung der sunnitischen Gemeinschaft mit
zunehmender Eskalation. Jedenfalls befördert Deutschlands Kriegseintritt
weitere erbitterte militärische Feindschaft und erhöht die Gefahr von
Terroranschlägen auch in unserem Land. Andererseits zwingt diese Entwicklung
noch mehr Menschen zur Flucht aus den Kriegsgebieten und wird weiterhin
humanitären, sozialen und kulturellen Zwecken immense Mittel entziehen.
- Dieses militärische Engagement der Bundeswehr
verstößt unseres Erachtens gegen Grundgesetz und Völkerrecht. Gewiss, die
Zustimmung im Bundestag erfolgte mit großer Mehrheit; insofern ist die formale
Legalität nicht zu bezweifeln. Sachliche Rechtmäßigkeit ist damit aber
keineswegs gewährleistet. Die Bundesregierung begründet die Mandatierung gegen
den IS mit dem Selbstverteidigungsrecht gemäß Artikel 51 der UN-Charta, mit der
EU-Beistandsklausel gemäß Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags und mit den
Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015) und 2249 (2015) des UN-Sicherheitsrats.
Dagegen werden von Fachleuten unterschiedlicher beruflicher Position und sowohl
institutioneller wie politischer Einbettung gravierende rechtliche Bedenken
vorgetragen. Im Ergebnis erscheint die Entsendung der Bundeswehr als schwerer
Verstoß gegen geltendes Verfassungs- und Völkerrecht. Hinzu kommt, dass bisher
nicht einmal die Unterstellung verifiziert wurde, die Verantwortung des IS für
die Anschläge in Paris am 13.11.2015 stehe fest. Bei dieser Lage der
Dinge dürfte die fragliche Mandatierung der Bundeswehr auf die Vorbereitung
eines Angriffskriegs – bzw. auf die Vorbereitung der Beteiligung an einem
Angriffskrieg – hinauslaufen; das ist oder wäre strafbar (gemäß GG Art. 26 (1)
und § 80 StGB). Und wer dem Syrienkommando Folge leistet, befolgt insofern
einen Befehl, der nach dem Soldatengesetzt nicht befolgt werden darf; auch das
wäre strafbar (SG § 11 (2)).
- Die grund- und verfassungsrechtlichen
Kalamitäten und strafrechtlichen Implikationen der fraglichen Mandatierung sind
nicht durch Rückgriff auf „höhere“ ethische Normen zu beheben bzw. abzuwenden.
Vom Standpunkt der Ethik ist die unantastbare Würde des Menschen – jedes
Menschen, unabhängig von seinem Handeln – Grundlage und Maßstab der Moralität;
aus christlich-theologischer Sicht wurzelt sie in der Gottebenbildlichkeit des
Menschen. Einen Menschen töten aber heißt, ihn zu verdinglichen, insofern auch
seine Würde radikal zu verneinen. Lernen und Bereitsein, Menschen in Ausübung
von militärischer Gewalt „notfalls“ zu töten, gehört andererseits zum Kern des
Militärischen. Wer unsere pazifistische Sicht nicht teilt, muss zumindest
begründen, wenn er das zivilisatorische Tötungsverbot außer Kraft setzen will.
Dieser sog. verantwortungsethische Ansatz mit Prüfkriterien für Militäreinsätze
liegt auch den Bestimmungen des Völkerrechts zugrunde und dementsprechend dem
Ethos der Bundeswehr. Konsequenterweise hat der Friedensbeauftragte des Rates
der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, das klassische
Beurteilungsschema auf die deutsche Beteiligung am Kampf gegen den IS in Syrien
angewandt – mit dem Ergebnis, dass die kritischen Voraussetzungen für das
militärische Engagement „in der jetzigen Situation in Syrien“ nicht gegeben seien.
Mit ähnlichen Vorbehalten hat sich der pax christi-Präsident und Bischof von
Fulda, Heinz-Josef Algermissen, gegen dieses militärische Engagement
positioniert. Und entsprechend gab der Vorsitzende der katholischen
Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, zu verstehen: „Militärische Einsätze
lösen ja gar nichts. Wenn ich diese Kriterien anlege, dann habe ich weiterhin
Bedenken… Wenn hier kein langfristiger Friedensplan vorliegt, dann wird ein
militärischer Einsatz nicht zum Ergebnis führen, sondern zu schlimmeren
Dingen.“ Einig sind sich jedenfalls die Kirchen(-leitungen) darin, dass „die
Anwendung militärischer Gewalt … ethisch immer ein schweres Übel“ ist
(Militärbischof Franz-Josef Overbeck). Da demnach auch bei
verantwortungsethischer Orientierung zumindest Unsicherheit bez. der
Legitimität des zur Diskussion stehenden militärischen Engagements besteht,
kann das „schwere Übel“ dieses Einsatzes nicht als ethisch gerechtfertigt
gelten.
Keins der skizzierten Problemfelder ist dadurch bereinigt oder auch nur entschärft, dass die Entscheidung von Bundestag und Bundesregierung nicht zuletzt dem Bemühen geschuldet ist, die Beziehung zur französischen Regierung und damit die Position Deutschlands in der Europäischen Union nicht zu gefährden. Für dieses an sich berechtigte politische Anliegen dürfen Bundeswehrangehörige weder in Lebensfahr gebracht noch dem Risiko gravierender Verstöße gegen Recht und Moral ausgesetzt werden. Daher stellt diese Einsatzentscheidung für Sie persönlich, sehr geehrte Soldatinnen und Soldaten, eine außerordentliche moralische Herausforderung dar. Im Grunde ist seit den Nürnberger Prozessen klar, dass alle Angehörigen der Streitkräfte persönlich verantwortlich sind für ihr Handeln, auch wenn sie Befehlen folgen (vgl. OSZE (1994), Verhaltenskodex. Ziff. 30f.)
Als pax christi-Kommission Friedenspolitik und als pax christi-Geschäftsführender Vorstand appellieren wir daher an Sie als konkret Betroffene:
- Seien Sie sich dieser persönlichen
Verantwortung bewusst,
- prüfen Sie sorgfältig, ob das von Ihnen
verlangte Handeln mit Ihrem Gewissen in Einklang steht,
- und falls nicht, verlangen Sie von Ihrem
Dienstherrn eine anderweitige, Ihr Gewissen nicht belastende Verwendung.
Das Bundesverwaltungsgericht hat Major Pfaff, der seinerzeit die Unterstützung des (dritten) Irak-Kriegs verweigert hatte, rehabilitiert und bestätigt, dass die Freiheit des Gewissens gemäß Artikel 4 Absatz 1 des Grundgesetzes nicht ein durch andere Grundrechte oder Gesetze einschränkbares Gut ist, mithin für jede Soldatin und jeden Soldaten nicht nur für den Fall prinzipieller Kriegsdienstverweigerung gilt, sondern auch in einer Situation wie der gegebenen (situationsbezogene Kriegsdienstverweigerung).
Bei Ablehnung eines Einsatzes aus Gewissensgründen muss der Dienstherr eine Einsatzalternative anbieten. Dass eine solche Entscheidung dennoch schwer zu verkraften ist, ist uns klar. Rat und Unterstützung müsste Ihnen die Militärseelsorge vermitteln können. Seien Sie versichert, dass wir Ihre Gewissensentscheidung auch dann respektieren, wenn Sie anders ausfällt, als wir uns das für uns selbst vorstellen, falls wir uns in Ihrer Situation befänden.
Geschäftsführender Vorstand und Kommission Friedenspolitik
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Kommission Friedenspolitik
Die kritische Begleitung der Bundeswehrreform, der Konflikt in Syrien und die Kritik an der Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung gehören zu den Themen der Kommission.
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Syrien
Millionen Menschen flüchten aus Syrien, um sich und ihre Kinder vor der tödlichen Gewalt zu retten in die Nachbarländer. Europa ist gefordert zu helfen