Es muss um Frieden gehen
10. Nov 2023
Als deutsche Sektion der internationalen Katholischen Friedensbewegung pax christi, die gegen Ende des II. Weltkrieges aus dem Bestreben französischer Katholik:innen entstand, dem Nationalismus der Deutschen entgegenzuwirken, um gemeinsam international für den Frieden in der Welt zu arbeiten, sind wir inzwischen Teil eines weltweit gespannten Netzwerks, das sich auf der Grundlage des christlichen Glaubens für friedliches Zusammenleben in der einen Menschheitsfamilie und für die Verwirklichung der Menschenwürde und der Menschenrechte für alle engagiert.
Mit der Programmatik der deutschen Sicherheitspolitik setzt pax christi sich unter dem Blickwinkel von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung auseinander. Die pax christi-Bewegung will daran mitwirken, Friedenspolitik zu gestalten, die das kollektive Friedenshandeln der Vereinten Nationen stärkt und der Orientierung folgt, internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu beizulegen.
Im Juni 2023 hat die Bundesregierung ihre nationale Sicherheitsstrategie (im Folgenden: NSS) veröffentlicht, die sie bereits im Koalitionsvertrag angekündigt hatte. Bereits im März 2023 hat pax christi mit einem breiten Bündnis zu dem Vorhaben Stellung bezogen und u.a. im Blick auf die Haushaltsverhandlungen 2024 die Stärkung ziviler Friedensfähigkeiten gefordert.
Nachdem die Bundesregierung ihre Strategie veröffentlicht hat, sehen wir unsere Befürchtungen bestätigt: eine nationale Sicherheitsstrategie war und ist der falsche Ansatz.
1. Sicherheit
kann nicht national hergestellt oder erhalten werden.
Keine der aktuellen Bedrohungen menschlicher Sicherheit wie Klimawandel,
Kriege, Kampf um knappe Ressourcen, Pandemien kann national bearbeitet oder
gelöst werden. Dies geht nur in internationaler Zusammenarbeit. Zwar zitiert
die Nationale Sicherheitsstrategie prominent zu Beginn den Auftrag aus dem
Grundgesetz, in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen. Aber
sowohl in der Bedrohungsanalyse als auch in der strategischen Vorausschau geht
es zuerst um nationale Interessen, bestenfalls noch um „transatlantische
Wertegemeinschaft“, um Interessen von NATO oder EU.
Zwar wird im Bericht von „Integrierter
Sicherheit“ gesprochen und diese beschrieben als ein Zusammenwirken „aller
relevanten Akteure, Mittel und Instrumente“. Innere und äußere Sicherheit seien
immer weniger zu trennen.
Aber berücksichtigt man den Prozess der Entstehung - schon vor den letzten
Bundestagswahlen kursierten entsprechende Vorschläge - drängt sich der Eindruck
auf, dass das Konzept der National Security aus den USA (und
Großbritannien) übernommen wurde, das dort bereits eine unrühmliche Rolle spielte
und Wirkung entfaltet hat, wie zum Beispiel in Lateinamerika der 70er Jahre und
bereits diskreditiert ist. Wenigstens wurde das Vorhaben eines Nationalen
Sicherheitsrates abgesetzt, wenn auch wohl eher aus ressortpolitischen
Rivalitäten, so ist dies dennoch zu begrüßen.
2. Es muss um Frieden gehen.
Frieden ist das umfassendere Ziel, Sicherheit ein Teilziel. Frieden ist
Voraussetzung für Sicherheit und ein Leben in Freiheit, dies gilt national wie
international. Entsprechend ist Sicherheitspolitik ein - wenn auch wichtiger -
Teilbereich von Friedenspolitik. Die Bundesregierung verfügt bereits über ein
entsprechend ausformuliertes friedenspolitisches Leitbild mit den Leitlinien
„Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ aus dem Jahr 2017.
Darin wird u.a. der zivilen Gewaltprävention Vorrang eingeräumt. Im
Koalitionsvertrag wurde die Fortschreibung dieses Leitbildes neben die
Ankündigung der nationalen Sicherheitsstrategie gestellt. In dieser Strategie
wird das friedenspolitische Leitbild nur noch erwähnt (S.41). Im Ergebnis sehen
wir eine schiefe, nicht tragfähige Sicherheitsarchitektur.
3. Vorrang
für zivil: Fehlanzeige
„Wehrhaft“ heißt die Zwischenüberschrift, „Frieden in Freiheit“ die Unterzeile.
Als „unverrückbar“ beschreibt die Bundesregierung darin „ihr Bekenntnis zu Nato
und EU“. Sie will Ihren Beitrag zur „Abschreckungsfähigkeit der Allianz“
leisten „durch das neu geschaffene Sondervermögen im mehrjährigen Durchschnitt
unseren 2% BIP-Beitrag zu den Nato-Fähigkeitszielen.“ Hier wird die Erfahrung
aus Jahrzehnten nicht berücksichtigt, dass gegenseitige Abschreckung und
Aufrüstung Kriege wahrscheinlicher machen. Laut Sicherheitsstrategie sollen auch Zivilverteidigung und Bevölkerungsschutz
gestärkt werden und die Unterstützung des Bundes für die Länder im
Katastrophenschutz. Aber hier fehlen jegliche finanziellen Zielvorgaben. Wer in
einem Flutgebiet wohnt, hat die katastrophalen Auswirkungen der miserablen
Ausrüstung des Katastrophenschutzes kennengelernt. Verglichen damit, steht die
Bundeswehr gut ausgerüstet da.
Und was ist mit den anderen sicherheitspolitisch höchst relevanten Versprechen, die die Bundesregierung wie andere Staaten z.B. im Monterrey Konsens seit 2003 versprochen hat, 0,7% ihres Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen? Nicht eingelöste Versprechen. Ein Armutszeugnis, dass wir international einen Höchststand in der Aufrüstung haben (SIPRI, April 2023), aber nicht in der Lage sind, das Hungerhilfsprogramm der Vereinten Nationen, das World Food Programm angemessen auszustatten. In den großen Flüchtlingslagern Afrikas werden die Lebensmittelrationen gekürzt. Hilfszusagen werden nicht eingehalten. Auch die Einhaltung der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG’s) wird international voraussichtlich krachend verfehlt. Und mit ihnen das Ziel 16, der Aufbau friedlicher Gesellschaften. Die Armutsquote weltweit steigt, statt zu sinken. Zivile Friedensfähigkeiten stärken: Fehlanzeige. Stattdessen sollen bei Krisenprävention, Konfliktbewältigung und Friedensförderung die zivilen, militärischen und polizeilichen Mittel zusammengefasst werden.
Dies alles spiegelt sich leider auch im Bundeshaushaltsentwurf 2024 wider. Die Mittel für humanitäre Hilfe im Etat des Auswärtigen Amtes sollen um 36% auf 1,7 Milliarden Euro sinken. Auffallend starke Kürzungen gibt es auch bei der Krisenprävention um 28% und im BMZ-Titel für die Krisenbewältigung um 22 Prozent. Die humanitäre Hilfe soll von 2022 bis 2025 auf 1,5 Milliarden Euro, d.h. auf weniger als die Hälfte gekürzt werden. So wird keine Sicherheit weder national noch international aufgebaut- und erst recht kein Friede. Um den zahlreichen globalen Krisen besser gerecht zu werden, bräuchte es für die nächsten Jahre dringend eine Wachstumsperspektive für die Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe. Zudem widerspricht dies eindeutig der Aussage im Koalitionsvertrag, dass die Ausgaben für Krisenprävention, humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit „wie bisher im Maßstab eins zu eins wie die Ausgaben für Verteidigung steigen auf Grundlage des Haushalts 2021“.
4. Was
in der Nationalen Sicherheitsstrategie fehlt.
Verstärkt werden soll „der Einsatz für den Erhalt der globalen Rüstungskontrollarchitektur“,
für nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung auf der Grundlage des
Nichtverbreitungsvertrags. Beim Atomwaffenverbotsvertrag, nach dem inzwischen
auch die Lagerung von Atomwaffen völkerrechtlich verboten ist, ebenso wie ihre
Produktion und natürlich ihre Anwendung, setzt die NSS lediglich auf den
„Dialog mit den Mitgliedern“ (S.45) statt dem Verbotsvertrag beizutreten.
Gemäß der NSS will die Bundesregierung bei der Kontrolle von Rüstungsexporten „an ihrer restriktiven Grundlinie“ festhalten und dafür Maßstäbe im geplanten Rüstungsexportkontrollgesetz festlegen (S.45). „Restriktive Grundlinie“ ist bei einer Nichtbeachtung von Kriterien etwa beim Export von Kriegswaffen in Drittstaaten in z.T. mehr als 50 % der Genehmigungsfälle eine lachhafte Selbsteinschätzung. Zugleich wird angekündigt, dass neben Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts, der regionalen Sicherheit, der Entwicklungsverträglichkeit u.a. also bisher gültigen tatsächlich restriktiven Rüstungsexportkriterien, die aber oft nicht eingehalten wurden, zukünftig „Bündnis- und Sicherheitsinteressen, geostrategische Herausforderungen, die Unterstützung von Partnern, die unmittelbaren Bedrohungen ausgesetzt sind, und die Anforderungen einer verstärkten europäischen Rüstungskooperation““ berücksichtigt werden sollen. Bedeutet dies eine zukünftige Legitimation der bisher schon laxen Rüstungsexportgenehmigungspraxis? Die Rüstungsexportpolitik Deutschlands und der EU müssen sich entsprechend an dem Ziel des Art. 26 der UN-Charta orientieren, „die Herstellung und Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit so zu fördern, dass von den menschlichen und wirtschaftlichen Hilfsquellen der Welt möglichst wenig für Rüstungszwecke abgezweigt wird“.
Die proklamierte „restriktiv[e] Grundlinie“ der deutschen Rüstungsexportkontrolle (S. 45) darf nicht zulasten von „Bündnis- und Sicherheitsinteressen“ oder „geostrategischen Herausforderungen“ unterlaufen werden. Die Kriterien ´Menschenrechte´ und ´humanitäres Völkerrecht´ im Gemeinsamen Standpunkt der EU sowie im ATT sind bindend – national, wie europäisch. Die Bundesregierung darf im Rahmen europäischer Kooperationen daher nie auf ihr Veto-Recht bei Ausfuhrvorhaben verzichten. Der Internationale Vertrag über den Waffenhandel (ATT) bindet Deutschland und die europäischen Mitgliedstaaten über die Kriterien des Gemeinsamen Standpunkt der EU hinaus, insbesondere bei der Kontrolle von Kleinen und leichten Waffen und dazugehöriger Munition sowie geschlechtsspezifischer Gewalt.
Im Sinne Integrierter Sicherheit müssten die Klimakosten des Militärs gezielt reduziert werden. Sie werden bisher nicht ausgewiesen, weder national noch international, vermutlich auch nicht erhoben. Dass z.B. die NATO Übung Air Defender 2023 mehr als 220.000 Tonnen CO2 Ausstoß verursachte, geht auf Schätzungen außerhalb von NATO und BMVG zurück. Es gab keine Erläuterung dazu noch Pläne zu ihrer Reduzierung. Ein empfindliches Defizit in einer NSS, die die Klimakrise als Bedrohung unserer Lebensgrundlagen und ihre Eindämmung als fundamentale Aufgabe benennt.
Nichts steht in der Strategie über Trainings in gewaltfreier Konfliktlösung, gewaltfreiem Umgang, die für eine dringend gebotene Begrenzung des Gewaltpotentials für innere Sicherheit relevant wäre. Nichts über Programme gegen wieder anwachsende häusliche Gewalt.
5. Kriegsgefahr abwehren statt
Flüchtlinge aus Kriegsregionen
Die
Bundesregierung setzt sich in der NSS mit Kriegen, Krisen und Konflikten in
Europas Nachbarschaft auseinander und benennt konkret Syrien, Irak, Libyen, die
Konflikte am Horn von Afrika und im Sahel (Seite 23). Bekanntermaßen kommen aus
diesen Regionen Menschen nach Deutschland, die Asyl beantragen und in hohem
Maße Schutz erhalten. Es ist irritierend, dass in der NSS an keiner Stelle vom
Recht auf Asylgesuch der Genfer Flüchtlingskonvention gesprochen und
stattdessen im Sinne einer Gefahrenabwehr argumentiert wird.
6. Gemeinsame
Sicherheit
Integrierte Sicherheit soll gemeinsam gestaltet werden, aber da gibt es eine
wesentliche Einschränkung: „Mit der Politik der Integrierten Sicherheit wollen
wir zusammen mit unseren Verbündeten Nachbarn und Partnern zur Sicherheit in
Europa und der Welt beitragen“. Und die andern? Das heutige Russland wird als
die „auf absehbare Zeit größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im
euroatlantischen Raum“ dargestellt, China als Partner, Wettbewerber und
systemischer Rivale. Im 3. Kapitel über Nachhaltigkeit wird endlich
festgehalten: „Um diesen globalen Krisen zu begegnen, braucht es die
Beteiligung aller Staaten“. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa (OSZE) wird noch als Akteur beim Erhalt von Demokratie und Menschenrechten
benannt (S.39) und als Dach für Rüstungskontrolle und militärische
Vertrauensbildung, „ohne dabei den technologischen Fortschritt zu verhindern“.
Die Regierung bleibe „offen für gegenseitige Transparenzmaßnahmen, sofern die
Voraussetzungen dafür bestehen.“ (S.44). Wir erinnern an das Konzept
gemeinsamer Sicherheit - gerade mit dem Gegner muss Sicherheit gemeinsam
gestaltet werden.
Deutschland braucht eine koordinierte Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik, die Ursachen von Krisen adressiert. pax christi teilt folgende Analyse des „Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung“, der in seiner Stellungnahme zur NSS schreibt: „Klimafolgen, Rassismus, tiefe sozio-ökonomische Ungleichheiten sowie die Spätfolgen des Kolonialismus beeinträchtigen die Lebensgrundlagen von Menschen massiv. Aber viele der in der Sicherheitsstrategie genannten Ansätze bleiben zu vage, um diese ursächlichen Krisenherde nachhaltig und strategisch zu bekämpfen.“ Dazu gehört dann auch entscheidend der kontinuierliche kritische Dialog mit gesellschaftlichen Akteur:innen außerhalb Deutschlands und bedarf verlässlicher finanzieller Ausstattung.